Die Nachfrage im S-Bahn-Verkehr hat in den vergangenen 10 Jahren erheblich zugenommen: 127 Millionen Fahrten im Jahr, das entspricht 420.000 Fahrgästen an jedem Werktag, und damit bereits heute deutlich mehr als 2015 für 2025 prognostiziert, sprechen eine deutlich Sprache. Und die Tendenz ist steigend durch
Auswirkungen:
Verbesserungen insbesondere für die S-Bahn-Stammstrecke zwischen Nordbahnhof, Bad Cannstatt und Stuttgart-Vaihingen sind dringend notwendig.
Der Verband Region Stuttgart hat sich immer intensiv mit den Themen Qualitätsverbesserung und Angebotsverbesserung beschäftigt. Dabei wurde auch das Thema "Erweiterung der bestehenden Infrastruktur" intensiv betrachtet. In einer Machbarkeitsuntersuchung (Verkehrsausschuss Vorlage 243/2017) wurde dargestellt, dass eine Erweiterung der Stammstrecke zur Verbesserung der aufgezeigten Situation, zum Beispiel durch den Einbau von zusätzlichen Bahnsteigen, unrealistisch ist. Auch der Bau einer zweiten Stammstrecke ist derzeit nicht finanzierbar. Der Lösungsansatz muss also darin liegen, die vorhandene Infrastruktur besser zu nutzen. Das bedeutet:
Einführung einer neuen Technik, um eine bessere Qualität bieten und das Angebot ausweiten zu können.
Für längere Züge, die bereits beschlossene Ausweitung des Viertelstundentaktes sowie zur weiteren Kapazitätssteigerung durch Angebotsausweitung sind mehr Fahrzeuge erforderlich. Daher hat die Regoinalversammlung am 30.01.2019 die Beschaffung von 58 zusätzlichen S-Bahn-Fahrzeugen des Typs ET 430 beschlossen. Die Beschaffung soll bis spätestens 31.12.2022 abgeschlossen sein.
Der Grundgedanke besteht darin, dass für den Hochgeschwindigkeitsverkehr entwickelte, europäisch standardisierte Zugbeeinflussungssystem (ETCS European Train Control System) erstmals in Deutschland für hochbelastete S-Bahn-Bereiche einzusetzen. Dieses System gibt es in unterschiedlichen Ausprägungsstufen. Für die S-Bahn-Stuttgart ist der Einsatz des Systems im sogenannten „Level 2“ vorgesehen.
Erste Potentiale für eine Einführung von ETCS Level 2 in der S-Bahn-Stammstrecke wurden in einer Informationsveranstaltung am 05.02.2015 beim Verband Region Stuttgart vorgestellt und intensiv diskutiert. Von der Universität Stuttgart (VWI GmbH) wurde damals bereits eine deutliche Kapazitätssteigerung und eine Erhöhung der Qualität prognostiziert.
Bereits 2015 hat die Universität Stuttgart in einer Untersuchung dargelegt, dass durch den einsatz von ETCS Level 2 in der Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn eine deutliche Qualitätssteigerung möglich ist. Die DB AG hat auf dieser Grundlage eine erste Simulation durchgeführt. Die Ergebnisse wurden im Verkehrsausschuss am 18.10.2016 vorgestellt (Sitzungsvorlage VA15716). Aufgrund dieser erkennbaren Potentiale für einen Einsatz von ETCS in hochbelasteten S-Bahn-Netzen haben die DB Netz AG, das Land Baden-Württemberg und der Verband Region Stuttgart gemeinsam eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, um die technischen Anforderungen für den Einsatz von ETCS zu klären und einen möglichen Rahmen für Kosten- und Zeitbedarf bei der Einführung zu ermitteln.
In der Studie konnte nachgewiesen werden, dass mit der Einführung einer modernisierten und digitalisierten Leit- und Sicherungstechnik in Kombination mit einem teilautomatisierten Fahren (Automatic Train Operation Grade of Automation 2, ATO GoA 2: Triebfahrzeugführer ist nach wie vor an Bord und kann jederzeit eingreifen) spürbare Kapazitätsreserven im Kernnetz der Region Stuttgart gehoben werden können. Diese können
Die Machbarkeitsstudie schließt mit dem Ergebnis, dass eine Einführung von ETCS Level 2 in Verbindung mit ATO GoA 2 in der Stammstrecke der S-Bahn Stuttgart technisch möglich und betrieblich sinnvoll ist. Um eine optimale Wirkung zu erreichen wird empfohlen, diesen Einsatzbereich bis nach Filderstadt und bis Goldberg auszudehnen.
Mit ETCS Level 2 können die Züge deutlich näher am Bahnsteig auf die Einfahrt warten als bei herkömmlicher Signalisierung. Dadurch können sie schneller an den Bahnsteig nachrücken und vorausgegangene Haltezeitüberschreitungen deutlich besser kompensieren. Ein „Aufschaukeln“ der Zugverspätungen wird verhindert. Darüberhinaus bietet die Einführung von ETCS die Grundlage für eine Geschwindigkeitserhöhung in der Stammstrecke mit weiteren positiven Effekten.
Der Einsatz von ETCS Level 2 in Verbindung mit ATO (GOA2) erfordert den Einsatz von modernster Stellwerkstechnik (Digitale Stellwerke – DSTW). Infrastrukturseitig wird der Einbau von Balisen zur Ortung der Züge und die Ertüchtigung des Systems zur Bahnseitigen Mobilfunkkommunikation (GSM-R) erforderlich. Die vorhandenen und neu bestellten S-Bahn-Fahrzeuge müssen technisch entsprechend umgerüstet werden. Dazu wird der Einbau sogenannter On-Board-Units erforderlich (Steuergerät mit Display).
Auf Grundlage der Ergebnisse der Machbarkeitsstudie werden die besten verkehrlichen Wirkungen erzielt, wenn der neben der eigentlichen S-Bahn-Stammstrecke zwischen Mittnachtstraße und Schwabstraße auch der Bereich von der Schwabstraße bis Vaihingen und weiter bis Goldberg in Richtung Böblingen und der Ast von Vaihingen über den Flughafen nach Filderstadt mit ETCS Level 2 ausgestattet werden.
Vollständige Langzugbildung in der Hauptverkehrszeit: Das bringt nicht nur weitere Kapazitäten, sondern beschleunigt auch den Fahrgastwechsel und kann so zu mehr Pünktlichkeit beitragen.
Mit einem entsprechenden Ausbau des Tunnels zwischen Schwabstraße und Stuttgart-Vaihingen könnten vier weitere Züge in der Stunde den Gleisabschnitt befahren. Züge der Linie S4, S5 oder S6 könnten dann auch über die Schwabstraße hinaus bis nach Stuttgart-Vaihingen fahren. Viele Fahrgäste müssten dann am Hauptbahnhof nicht mehr umsteigen, was den Betriebsablauf dort weiter stabilisieren kann.
Auf der S-Bahn-Linie S6 sollen von Weil der Stadt und Feuerbach zusätzlich halbstündlich verkehrende Verstärkerzüge der S-Bahn aufs Gleis gesetzt werden. In Feuerbach sind hierfür noch entsprechende Umbauarbeiten am Bahnsteig bei Gleis 130 und an der Zuführung erforderlich.
Auch auf den Außenlinien der S60, zwischen Plochingen und Kirchheim/Teck (oder alternierend nach Nürtingen) sowie Vaihingen über den Flughafen weiter bis Neuhausen soll die S-Bahn zukünftig im 15-Minuten-Takts fahren.
Das Fahrplanangebot des Fern- und Landesverkehrs nach Inbetriebnahme von S 21 erfordern „überschlagene Wenden“ in Vaihingen und Backnang. Konkret warten an diesen Endpunkten bereits Züge für die Rückfahrt, die bei Ankunft der S-Bahnen sofort losfahren können und so wertvolle Zeit für das Wenden einsparen.
Mit den erheblich ausgedehnten Betriebszeiten (zum Beispiel Flughafenfrühanbindung, S-Bahn-Verkehr bis 01:00 Uhr in der Früh auch an Werktagen) sowie der Ausdehnung des 15-Minuten-Takts sind auch mehr Fahrzeuge im Einsatz. Daher muss auch die erforderliche Fahrzeugreserve für die Wartung aufgestockt werden.
Als Bestandteil des Programms „Digitale Schiene Deutschlands“ von Bund und Bahn soll die Umrüstung von Infrastruktur und Fahrzeugen erfolgen. Denn eine Studie des Bundesverkehrsministeriums hat für den Einstieg in den Technologiewandel unter anderem die S-Bahn Stuttgart empfohlen. Die haushaltsrechtlichen Vorbereitungen für Förderprogramm auf Bundesebene sind angelaufen, eine Absichtserklärung liegt vor, dass das Stuttgarter Pilotvorhaben auch nach Start noch in das Förderprogramm aufgenommen werden kann. DB Netz hat die Umsetzung der Maßnahmen zugesichert.
Das Landeskabinett Baden-Württemberg hat am 22.01.2019 seine Bereitschaft zur Beteiligung an dem Pilotprojekt zur elektronischen Zugsteuerung und eine Angebots- und Qualitätsinitiative für einen attraktiveren Bahnverkehr - insbesondere bei der S-Bahn - beschlossen.
Zusätzlich zu seinen eigenen Maßnahmen zur Luftreinhaltung fördert das Land unter anderem die Anschaffung von 47 S-Bahn-Fahrzeugen aus Mitteln des Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (LGVFG) mit rund 106 Millionen Euro. Diese Fahrzeuge sollen in Stuttgart und den Zulaufstrecken für mehr Beförderungskapazitäten sorgen.
Zudem fördert das Land den Betrieb für die Verkehrsverbesserungen durch die S-Bahnen im Kernraum über eine Erhöhung der jährlichen Regionalisierungsmittel um 0,8 Prozent auf 9,9 Prozent ab dem Jahr 2021. Im Gegenzug soll es die Fahrgeldeinnahmen erhalten, welche aus diesen geförderten Zusatzverkehren resultieren. Der Einbau von ETCS/ATO GoA 2 und Investitionen in die Infrastruktur, welche der Bund nicht übernimmt, werden ebenfalls gefördert. Nach eigenen Angaben beteiligt sich die Landesregierung mit insgesamt circa 330 Millionen Euro.
Eine Fördervoraussetzung seitens des Landes BW ist, dass sich der Verband Region Stuttgart mit 12,5 Millionen Euro an der Großen Wendlinger Kurve beteiligt, sofern die Region Neckar-Alb den gleichen Betrag zahlt. Dem hat die Regionalversammlung bereits zugestimmt. Mit dem zweigleisigen Ausbau der Wendlinger Kurve kann die Grundlage eines möglichen Ringschlusses von den Fildern ins Neckartal gelegt werden. In Verbindung mit einer möglichen Verlängerung des S1-Zwischentaktes von Plochingen nach Nürtingen könnte mit dortigem Umstieg auf das Metropolexpressangebot des Landes in Richtung Flughafen eine erste Vorstufe für eine Durchbindung vom Flughafen ins Neckartal geschaffen werden.
Für die Phase der Erprobungs- und Zulassung der neuen Technologie soll der Vertrag des Verbands Region Stuttgart mit der DB Regio über den Betrieb der S-Bahn bis Juni 2032 verlängert und auf das erweiterte Angebot angepasst werden. Nur so kann der zukünftige Betrieb mit ETCS/ATO GoA 2 Eingang finden in ein neues Wettbewerbsverfahren um den S-Bahn-Verkehr ohne Benachteiligungen anderer Betreiber. Die Neuvergabe des S-Bahn-Betriebs würde dann 2028 erfolgen, Betriebsaufnahme wäre 2032.
Die wichtigsten Eckpunkte der Vertragsverlängerung sind die Erhöhung der Betriebsleistung um jährlich bis zu 1 Million Zugkilometer bei entsprechenden Gremienbeschlüssen sowie die Beschaffung von 58 Neufahrzeugen des Typs ET 430. Davon werden 56 Fahrzeuge von der Region finanziert, 2 Fahrzeuge von der DB Regio.
Für die Finanzierung der 56 Fahrzeuge, die zu Lasten der Region gehen und für eine Vorfinanzierung der Beteiligung der DB Region an der Fahrzeugausstattung mit ETCS/ATO GoA 2 nimmt der Verband Region Stuttgart einen Kredit rund 380 Millionen Euro Kredit auf. Diesen finanziert er über die Jahre 2020 bis 2032, also bis zum Ende der Laufzeit des verlängerten Verkehrsvertrags. Weitere 64,5 Millionen Vorfinanzierung für die Umrüstung der Fahrzeuge fließen über die Jahre 2026 bis 2032 von der DB Regio an den Verband Region Stuttgart zurück.
Der regionale Kostenanteil wird über die Verkehrsumlage durch die VVS-Landkreise und die Landeshauptstadt Stuttgart finanziert. Damit werden Investitionen für Verbesserungen des Schienenverkehrs ermöglicht, welche im Hinblick auf die VVS-Tarifzonenreform und die Erfordernisse zu Luftreinhaltung mehr Kapazitäten im ÖPNV schaffen.
Die DB Regio rüstet alle 215 S-Bahn-Fahrzeuge mit ETCS/ATO GoA 2 aus und übernimmt dafür einen Kostenanteil. Ebenso zahlt sie für ein Redesign von Fahrzeugen. Die Zinsen und Abnahmekosten trägt die Region für 47 Fahrzeuge, für die restlichen kommt die DB Regio auf. Die Region erhält die gesamten Fahrgasteinnahmen für diese zusätzlichen Verkehrsverbesserungen, zahlt jedoch für den Betrieb nur den Grundentgeltsatz („Nettovertragspreis“). Die Bonus- und Malusmasse für Zahlungen beim Erreichen oder Verfehlen von Pünktlichkeitsvorgaben wird mit der Einführung von ETCS/ATO GoA 2 und der Inbetriebnahme von S21 verdoppelt.
Die DB Region beschafft 2 der 58 Züge, diese können deshalb auch für Verkehre außerhalb der Region eingesetzt werden. Bei Vertragsende gleicht die DB Regio den Restbuchwert von 275 Millionen Euro aus, falls die Region die Fahrzeuge nicht für einen anderen Betreiber übernimmt.
Eine weitere Optimierung ist dann möglich, wenn bis zur Inbetriebnahme von Stuttgart 21 alle im Knoten verkehrenden Regionalfahrzeuge mit ETCS-Fahrzeuggeräten ausgerüstet werden. Unter Berücksichtigung der aktuellen Stellwerkskonzeption der DB Netz AG ist eine ETCS Ausstattung des gesamten Knoten Stuttgart sinnvoll. Voraussetzung hierfür ist die fahrzeugseitige Ausrüstung aller dort verkehrenden Schienenfahrzeuge. Dieses Modell wird derzeit im Rahmen des Programms Digitale Schiene Deutschland offensiv vorangetrieben.
Die DB AG hat im Januar 2018 das Programm „Digitale Schiene Deutschland“ vorgestellt, mit dem eine komplette flächendeckende Neuaufstellung in den Bereichen Leit- und Sicherungstechnik erfolgen soll. Mit dem Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung wurden die Grundlagen geschaffen, das Programm „Digitale Schiene Deutschland“ der DB AG umzusetzen: „Wir wollen die Digitalisierung der Schiene, auch auf hochbelasteten S-Bahnstrecken, vorantreiben und den Ausbau der europäischen Leit- und Sicherungstechnik ETCS, elektronischer Stellwerke und Umrüstung der Lokomotiven durch den Bund unterstützen. Die Automatisierung des Güterverkehrs und das autonome Fahren auf der Schiene wollen wir durch Forschung und Förderung unterstützen.“
Im Rahmen von Stuttgart 21 soll die S-Bahn-Stammstrecke nach Norden verlängert werden. Die neue Station Mittnachtstraße soll ergänzt werden. In diesem Zuge wird auch der Umbau heute vorhandenen Leit- und Sicherungstechnik in der S-Bahn-Stammstrecke erforderlich. Aufgrund der nun geplanten Inbetriebnahme 2025 eröffnet sich heute die Möglichkeit, Anpassungen an den Planungen vorzunehmen und neuste technische Erkenntnisse zu integrieren.
Es eröffnet sich somit die Chance, das Kernnetz am Eisenbahnknoten Stuttgart in Zusammenhang mit den laufenden Umbauarbeiten am Hauptbahnhof und den entsprechenden Zuläufen auf die neue Leit- und Sicherungstechnologie umzustellen.
Ein Ausbau des Knoten Stuttgarts in der herkömmlichen Leit- und Sicherungstechnologie, wie bisher vorgesehen, würde dagegen dazu führen, dass über die nächsten 20 Jahre die sich jetzt bietende Chance zur Optimierung der Kapazitäten am Knoten Stuttgart vertan wäre.